Kommt es in NRW, dem industriellen Herz Deutschlands, zu Rhythmusstörungen, merke dies die ganze Republik, sagt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Deshalb werde das Land alles dafür tun, die Rahmenbedingungen für Industrie und Unternehmen zu verbessern, fordert gleiches aber auch vom Bund ein. Die wichtigsten Instrumente dafür hat die Ministerin im August in einem 7-Punkte-Papier beschrieben. Foto: MWIKE Nils Leon Brauer
Frau Neubaur, in Ihrem Papier „Gemeinsam begründen wir unser Industrieland neu: Sieben Punkte für eine starke Industrie in Nordrhein-Westfalen“ beschreiben Sie zentrale Aufgaben, die die Verantwortlichen in Land und Bund angehen müssen, damit der gesamten Republik keine Erosion der industriellen Substanz und spürbare Wohlstandsverluste drohen.
Das stimmt. Industriepolitik ist kein Selbstzweck. Im Kern geht es um Chancen und Perspektiven für die Menschen und deren Lebensentwürfe. Wir müssen die Industrie in Nordrhein-Westfalen erhalten. Zentrale Erfordernisse dafür sind der Brückenstrompreis, die Senkung der Stromsteuer und ein Transformationsdialog.
Was genau meinen Sie damit?
Uns droht die Abwanderung energieintensiver Industrien. Daher setzen wir uns gemeinsam mit vielen anderen für einen Brückenstrompreis ein, mit Anreizen zur Transformation und Energieeinsparung. Er ist eingebettet in eine Ausbaustrategie der erneuerbaren Energien, die auf absehbare Zeit dafür sorgen wird, dass die Marktpreise für Strom wieder spürbar sinken.
Derzeit wird Strom mit 2,05 ct/kWh besteuert. Durch den weiterhin steigenden Anteil der Erneuerbaren Energien im Energiemix verfehlt die Stromsteuer zunehmend ihre umweltorientierte Lenkungswirkung. Daher setzen wir uns für eine Absenkung der Stromsteuer auf den europarechtlich zulässigen Mindestsatz von 0,01 ct/kWh ein. Eine Absenkung würde Unternehmen die dringend notwendige Entlastung bei den Energiekosten bringen, unabhängig von ihrer Branche.
Der Brückenstrompreis stabilisiert den Weg der Transformation, der als Veränderungspartnerschaft gegangen werden soll. Das verschafft der Industrie bereits heute Planungssicherheit und bietet Anreize, in die Transformation hier am Standort zu investieren. Ob Industriepakt, Zukunftsdialog Industrie zum industriepolitischen Leitbild oder Chemiegipfel – wir arbeiten gemeinsam mit der Wirtschaft daran, Transformationspfade klar zu beschreiben und konkrete Umsetzungsschritte zu gehen.
Sie wollen das Industrieland klimaneutral erneuern. Was muss dafür passieren?
Der Wohlstand von morgen basiert auf Investitionen, die jetzt getätigt werden. Nach Berechnungen des RWI sind für Nordrhein-Westfalen rund 70 Milliarden Euro jährlich notwendig, um die Transformation erfolgreich umzusetzen. Diese Summe kann nur gemeinsam gestemmt werden.
Um wichtige Ankerbranchen und nachgelagerte Betriebe zu stärken, fördern wir z.B. Thyssenkrupp Steel Europe in Duisburg bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Stahlproduktion mittels Wasserstoff.
Natürlich haben wir auch die kleinen und mittleren Unternehmen bei der Umstellung ihrer Produktionsprozesse im Blick. Dazu setzen wir unter anderem mit Hilfe der NRW.BANK ein Finanzierungsinstrument auf, über das wir Investitionen von produzierenden und verarbeitenden Betrieben mit bis zu 2.500 Beschäftigten in die klimaneutrale Produktion mit einem dreistelligen Millionenbetrag unterstützen.
Wir entwickeln die Landesförderprogramme, allen voran die progres.NRW-Förderlinien, kontinuierlich weiter und unterstützen die Unternehmen dabei, weitere Mittel einzuwerben. Unter anderem über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Just Transition Fund (JTF) mobilisieren Land und Europäische Union mehr als 2,3 Milliarden Euro für richtungsweisende Innovationen zur Klimaneutralität, der Klimaanpassung und Ressourceneffizienz.
Die neue Energie für Industrie und Wirtschaft soll klimaneutral, regional und sicher sein. Mit welchen Mitteln soll das umgesetzt werden?
Klimaneutralität ist der Schlüssel, um auch für energieintensive Unternehmen, die mit innovativen herausragenden Produkten aus Nordrhein-Westfalen im globalen Wettbewerb bestehen, eine Zukunft in NRW zu sichern. Dafür haben wir zum Beispiel den Rahmen zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier gesetzt, mehr Flächen für Erneuerbare ausgewiesen und arbeiten daran, Akzeptanz dafür zu schaffen und den Ausbau zu beschleunigen.
Dafür braucht es schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren
Ja, im Moment dauert es bis zum Abschluss eines Investitionsprojektes viel zu lange. Deshalb begleiten wir die zuletzt deutliche Weiterentwicklung der bundesgesetzlichen Regelungen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien mit der „Task Force Ausbaubeschleunigung Windenergie NRW“. Außerdem arbeiten wir an der Digitalisierung des Genehmigungsprozesses für Windenergieanlagen, haben bei den Bezirksregierungen zusätzliche Stellen im Bereich der Energieinfrastrukturplanung geschaffen und nutzen rechtliche Möglichkeiten etwa durch die Möglichkeit des Wegfalls von Umweltverträglichkeitsprüfungen und einer vereinfachten Artenschutzprüfung, um Prozesse zu beschleunigen.
Welche Maßnahmen gibt es außerdem, um den Industriestandort NRW zu erhalten und zu stärken?
Industrieunternehmen benötigen Flächen, und ein starker Industriestandort muss diese auch weiterhin für Unternehmen bereithalten. Mit der Integrierten Netzplanung haben wir ein Wasserstoff-No-Regret-Netz identifiziert und aufgezeigt, wie Synergieeffekte zwischen den Planungen für Gas-, Wasserstoff-, Wärme- und Stromnetzen genutzt werden können. Außerdem werden wir im Bereich der Wärmewende den Masterplan Geothermie vorlegen und den Markthochlauf mit konkreten Maßnahmen hinterlegen.
Wir arbeiten an der Revitalisierung von Brachflächen und daran, die Menschen mitzunehmen. Ein Industrieland im Umbruch fordert und eröffnet neue Arbeitsmärkte mit neuen Karrierewegen. Leitlinie unserer Industriepolitik ist es, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Transformation zu stärken und gemeinsam mit der Industrie den Fachkräftemangel anzugehen: Durch Weiterbildung, durch gezielte Anwerbung und durch die Mobilisierung derjenigen, die bislang noch nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Sehen Sie trotz aller Herausforderungen optimistisch in die Zukunft?
Hier in Nordrhein-Westfalenwurden maßgeblich durch Montanindustrie, Textilgewerbe und Maschinenbau, durch harte Arbeit gepaart mit unternehmerischem Mut, die Grundlagen für den bundesrepublikanischen Wohlstand gelegt, der jahrzehntelang Freiheit, Stabilität und soziale Sicherheit garantierte. Heute, im Jahre 2023, müssen wir konstatieren: Diese Garantien gelten nicht mehr uneingeschränkt und drohen sogar teils, sich angesichts globaler Stapelkrisen aufzulösen – und das in einer Rasanz, die das demokratische Gefüge unserer Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen droht. Auch wenn diese Diagnose auf den ersten Blick düster klingen mag, die Aussichten sind es mitnichten. Denn: Wir verfügen über die Instrumente und besitzen die Stärke, unsere Strukturen zu transformieren und so die Wertschöpfungsketten und die Jobs der Zukunft im Land zu halten. Optimistisch stimmen uns dabei die vielen Betriebe, Unternehmen und Konzerne, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, Verantwortung übernehmen, in eine klimaneutrale Zukunft investieren und damit ein klares Statement für den Industriestandort NRW setzen.
Download 7-Punkte-Papier (pdf, 20 Seiten)